Quer durch alle Branchen werden Arbeitskräfte händeringend gesucht. Bis zum Jahr 2035 sinkt die Zahl der Erwerbspersonen im Alter von 15 bis unter 70 Jahre allein in Dithmarschen von 65.730 auf 56.950 Menschen, ein Minus von 8.780 (Quelle: Jahresbericht Statistikamt Nord, 2021). Mit Renteneinstieg der Babyboomer und den zusätzlichen Bedarfen durch laufende und geplante Neuansiedlungen in Dithmarschen und Steinburg prognostizieren Experten bis Mitte der 2030-er Jahre eine Lücke von bis zu 12.000 Beschäftigten. Ansätze, dem entgegenzuwirken, zeigte das „Forum:Arbeitsmarkt“ der Entwicklungsgesellschaft Westholstein (egw) auf. Die Veranstaltung im Centrum für Angewandte Technologien (CAT) in Meldorf stand unter dem Titel „Chancen der Zuwanderung in den Dithmarscher Arbeitsmarkt“.
„Ich freue mich, dass ein so guter Mix von Unternehmerinnen und Unternehmern gekommen ist“, sagte André Mewes von der egw zum Auftakt der Veranstaltung. Unter den 30 Gästen waren Gastronomen und Lebensmittelhersteller ebenso wie Logistiker, Möbelproduzenten und Steuerberater. Sie alle eint eins: Ihnen fehlen aktuell und in Zukunft Arbeitskräfte – im Service, in der Produktion, im Büro. Das untermauerte André Mewes in seinem Impulsvortrag. Die gute Nachricht: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Dithmarschen ist zwischen 2016 und 2022 um 13 Prozent von 45.370 auf 51.160 gestiegen. Allerdings sei ein Viertel älter als 55 Jahre – und damit kurz vor einem möglichen Renteneinstieg, so der Dipl.-Sozialökonom und Dipl.-Betriebswirt. Um die drohende Beschäftigungslücke zu schließen, gibt es aus seiner Sicht verschiedene Lösungen. Dazu zählen neben der Eingliederung von Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt auch die Umwandlung von Teilzeit- in Vollzeitarbeitsplätze oder die Erhöhung der Erwerbsquoten von Frauen und älteren Menschen. „Am Ende des Tages wird nur eine Mischung der vorhandenen Ansätze zum Ziel führen“, erklärte André Mewes und leitete das Hauptthema des Abends ein: Erwerbsmigration und Zuwanderung.
Aus der Arbeit des 2023 eingerichteten „Welcome Center Schleswig-Holstein“ in Kiel berichteten Lars Nielson und Kimberly Wussow. „Unser Anliegen ist es, die Sichtbarkeit des echten Nordens im Ausland weiter zu erhöhen, um Talente und Unternehmen zusammenzubringen – und so der Fachkräftelücke entgegenzuwirken.“ Zielgruppe sind Menschen aus der EU und aus Drittstaaten, die in Schleswig-Holstein arbeiten und leben wollen. Das Welcome Center bietet Unternehmen individuelle Beratungen an und unterstützt als erste Anlaufstelle bei allen Fragen rund um die Rekrutierung, aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen sowie der betrieblichen Integration. Das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge (LaZuF) führt als zentraler Ansprechpartner und Kernpartner des Welcome Centers Schleswig-Holstein auf Wunsch der Firmen das beschleunigte Fachkräfteverfahren durch und koordiniert alle Verfahrensschritte – von der Anerkennung über die Arbeitsmarktzustimmung. „Abschließend wird eine Vorabzustimmung erteilt, durch welche die Fachkraft innerhalb von drei Wochen einen Termin bei der Botschaft erhält und ein Visum beantragen kann“, erklärte Lars Nielson.
Ganz ohne engagierte Arbeitgeber geht es allerdings nicht. Die Verantwortung für die soziale Integration liegt vor allem bei den Arbeitgebenden. „Häufig sind es vermeintlich kleine Themen wie Informationen zur Mülltrennung, die für uns selbstverständlich sind. Oder auch der Gang zum Einwohnermeldeamt“, so Kimberly Wussow. Wichtig sei es, die Menschen mitzunehmen: „Wenn man im Fußballverein ist, einfach mal fragen: Willst du nicht mitkommen?“
Ein gutes Mittel, geflüchtete Menschen als Arbeitskräfte für die Unternehmen zu gewinnen, ist der „Job-Turbo“. Darüber informierte Nils Zander vom gemeinsamen Arbeitgeber-Service Westholstein für die Kreise Dithmarschen und Steinburg. Der Erwerb der deutschen Sprache ist zwar grundsätzlich erforderlich, so der Berater. Doch die wenigsten wissen, dass Fachkräfte und Experten auch ohne Deutsch-Kenntnisse beispielsweise im IT-Bereich arbeiten und sofort vermittelt werden können. „Unser Ziel ist es, mit dem ´Job-Turbo` gut qualifizierte Menschen schnell in Arbeit zu bringen und auch während einer Beschäftigung zum Beispiel mit berufsbegleitenden Sprachkursen weiter zu qualifizieren. Das beschleunigt die Integration und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Dabei setzt der gemeinsame Arbeitgeber-Service neben finanziellen Anreizen wie dem Eingliederungszuschuss für maximal zwölf Monate auch auf neue Wege wie unter anderem Job-Turbo-Messen, bei denen Arbeitgeber und zukünftige Arbeitnehmer unkompliziert miteinander in Kontakt kommen, und Speed-Dating-Veranstaltungen.
Nach den Vorträgen nutzten die Unternehmerinnen und Unternehmer die Möglichkeit, in persönlichen Gesprächen individuelle Fragen an die Experten zu richten. Dazu hatte André Mewes bewusst ermuntert. „Wenn wir es schaffen, die drohende Beschäftigungslücke um ein Drittel zu schließen, wäre das schon ein Erfolg. Dafür müssen alle Aktiven zusammenstehen und weiter an der Willkommenskultur arbeiten. Wir haben schon so viele Herausforderungen bestanden – und werden auch diese bestehen.“
Bildunterschrift:
„Forum:Arbeitsmarkt“ im CAT in Meldorf (v.l.): Lars Nielson und Kimberly Wussow (beide Welcome-Center Schleswig-Holstein), André Mewes von der egw und Nils Zander vom gemeinsamen Arbeitgeber-Service Westholstein. (Foto: Jens Neumann / egw)